Rentennähe rechtfertigt Kündigung im Rahmen der Sozialauswahl

BAG, Urt. v. 08.12.2022, Az. 6 AZR 31/22

Eine 63-jährige Arbeitnehmerin wurde nach 48 Jahren Betriebszugehörigkeit innerhalb des Insolvenzverfahrens ihres Arbeitgebers betriebsbedingt gekündigt. Neben ihr wurden 60 weitere Mitarbeiter des Unternehmens auf Grundlage des § 1 III S1 KSchG bzw.§ 125 I S1 Nr. 2 InsO entlassen.

Die Arbeitnehmerin erhob daraufhin Kündigungsschutzklage, da sie die Ansicht vertrat, dass jüngere Kollegen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Sozialauswahl weniger schutzbedürftig als sie und somit vorrangig zu kündigen seien. Der beklagte Insolvenzverwalter hingegen erachtete die Klägerin innerhalb der Vergleichsgruppe als am wenigsten schutzbedürftig, da sie als einzige Mitarbeiterin bereits fünf Monate nach kündigungsbedingter Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Altersrente für besonders langjährige Beschäftigte gem. §§ 38, 236b SGB VI beziehen könne.

Entgegen der bisherigen Rechtsprechung, die ältere Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl besonders schützte, entschied das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall, dass das Lebensalter eines älteren Arbeitnehmers, sofern er eine abschlagsfreie Rente spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen könne oder bereits beziehe, zu Lasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden könne.

Das Kriterium „Lebensalter“ innerhalb der Sozialauswahl sei ambivalent: Zunächst nehme die soziale Schutzbedürftigkeit eines Arbeitnehmers mit steigendem Lebensalter zu, da ältere Arbeitnehmer schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Sobald die Rente in greifbarer Nähe sei, nehme die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers jedoch wieder ab, so dass beispielsweise auch unverheiratete jüngere Arbeitnehmer mit kürzerer Betriebszugehörigkeit schutzbedürftiger als Arbeitnehmer fortgeschritteneren Alters sein könnten.

Neben dem Lebensalter sind im Rahmen der Sozialauswahl weitere Kriterien, z.B. Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten sowie Schwerbehinderungen zu berücksichtigen.

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